Technologie statt Stillstand – Medizintechnik als Antwort auf den demografischen Wandel
VBKI Healthcare Lunch mit Prof. Dr. Michael Kaschke
Philipp Zettl | Referent Politische Grundsatzfragen
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Die Gründe dafür sind bekannt: Der Anteil der über 60-Jährigen steigt rapide, während das medizinische Fachpersonal zunehmend knapp wird. Doch wie kann ein Gesundheitssystem funktionieren, wenn die Nachfrage das Angebot dauerhaft übersteigt? Beim VBKI Healthcare Lunch skizzierte Prof. Dr. Michael Kaschke – Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft und langjähriger Vorstandsvorsitzender der ZEISS Gruppe – einen möglichen Weg: „Wir müssen Technologie strategisch einsetzen – nicht als nettes Add-on, sondern als Rückgrat der künftigen Versorgung.“
Bereits zu Beginn machte Kaschke deutlich: Das Dreiecksverhältnis zwischen Patienten, medizinischem Anbieter (Ärzte und Kliniken) und Kostenträger (Versicherungen) ist aus dem Gleichgewicht geraten – und wird in der heutigen Form in 30 Jahren nicht mehr funktionieren. Dies führt dazu, dass die Kostenträger und Patienten eine immer aktivere Rolle in der Gesundheitsversorgung einnehmen: Die Klassische Behandlung tritt zunehmend in den Hintergrund, Prävention und Effizienz rücken in den Fokus.



Ein enormes Potenzial sieht Kaschke in der Medizintechnik – insbesondere in sechs zentralen Technologiefeldern, die er auch anhand konkreter Innovationen vorstellte: photonische Technologien, funktionale Bildgebung, Miniaturisierung, allgegenwärtige Sensorik, Big Data & KI sowie robotische Systeme. Ob hochauflösende Netzhautscans, OCT-Angiographie, Mikroendoskope aus dem 3D-Drucker oder smarte Sensoren im Smartphone – die Beispiele zeigen: Viele Lösungen sind längst verfügbar, ihr breiter Einsatz jedoch stockt.
Auf die Frage, warum andere Länder schneller seien, antwortete Kaschke: „Weil sie über Anreize sprechen, nicht nur über Regulierung.“ Die Frage sei nicht, ob neue Technologien sinnvoll sind – sondern warum es sich für Ärzte, Patienten und Institutionen lohnt, sie einzusetzen. Ein Augenarzt, der eine Operation statt in 15 Minuten in wenigen Sekunden abschließen kann, hat einen klaren Grund, neue Technik zu adaptieren. In Deutschland hingegen fehlten solche Anreize – und auch der Mut zu mehr ökonomischem Denken: „Wer effizienter wird, darf nicht dafür bestraft werden.“
Besorgt zeigte sich Kaschke über die Innovationsfähigkeit in Deutschland. Trotz vieler guter Ideen mangele es oft an Risikokapital – besonders im Mittelstand, der das Rückgrat der Medizintechnik bildet. Während große Konzerne wie Siemens investieren können, bleiben kleinere Unternehmen häufig unter ihren Möglichkeiten. Dabei sei gerade im datengetriebenen Bereich mehr Engagement nötig. „Wir dürfen nicht nur über Datenschutz sprechen – wir müssen auch über Datennutzung reden, vor allem für die Wissenschaft.“
Wie groß der Nachholbedarf ist, zeigt ein Blick ins Ausland: In Ländern wie Kanada, Australien oder Singapur erfolgen klinische Erprobungen schneller, mit weniger Bürokratie und größerem Praxisbezug. Deutschland hingegen steht sich mit komplizierten Prozessen oft selbst im Weg.
Die Botschaft des Nachmittags war klar: Ohne Technologie lässt sich die Versorgung von morgen nicht sichern. Doch Fortschritt kommt nicht von allein – er braucht klare Ziele, und vor allem verlässliche Anreize und den Mut, bestehende Strukturen zu hinterfragen.
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