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17.03.25

„Gerechtigkeit ist keine Kategorie in der internationalen Politik“

„Gerechtigkeit ist keine Kategorie in der internationalen Politik“

Foreign Policy Lunch mit dem Autor und ehemaligem NATO-Mitarbeiter Michael Rühle

Text: Philipp Zettl | Referent Politische Grundsatzfragen

Seit der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsidenten überschlagen sich die Ereignisse im Ukrainekrieg. Festentschlossen, einen Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland auszuhandeln, umgarnt der US-Präsident den russischen Präsidenten Wladimir Putin und stellt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj öffentlich bloß. Gleichzeitig rüstet das aufgeschreckte Europa massiv auf. Michael Rühle, Autor und langjähriger Mitarbeiter im Internationalen Stab der NATO, versuchte im Foreign Policy Talk mit dem Co-Ausschussvorsitzenden Prof. Eberhard Sandschneider in die Zukunft zu schauen. Fazit: Die Wahrscheinlichkeit für einen wackeligen Frieden ist hoch, doch die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland werden auf längere Sicht schlecht bleiben.

Für Friedensverhandlungen müssen beide Seiten bereit sein. Und klar sei, so Rühle, sowohl Russland als auch die Ukraine sind „militärisch ermattet“. Trotzdem sähen beide Seiten noch strategische Vorteile in der Fortführung des Kriegs. Russland wolle mit dem Krieg seine Einflusssphäre erhalten und die NATO-Osterweiterung stoppen. Ein weiterer Grund: Die russische Schwarzmeerflotte war auf Basis eines langfristigen Leasingvertrag mit der Ukraine auf der Krim stationiert. Doch die Möglichkeit einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft vergrößerte die Sorge Russlands, es könne den strategisch wichtigen Hafen verlieren. Aus russischer Sicht Grund genug – so Rühle -, um „Fakten vor Ort zu schaffen“. Für viele Ukrainer hingegen sei die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete Voraussetzung für einen gerechten Frieden. Doch „Gerechtigkeit war noch nie eine funktionierende Kategorie in der internationalen Politik“, sagt Rühle. Der Westen wiederum befinde sich in einer „paradoxen Situation“. Auf der einen Seite hätten sich die Europäer und die USA mit der schnellen Unterstützung der Ukraine im Krieg sehr solidarisch gezeigt und eine Niederlage der Ukraine verhindert. Auf der anderen Seite wollten die NATO-Staaten die Ukraine auch nicht zu sehr unterstützen, aus Sorge, ein auf dem Schlachtfeld blamiertes Russland könne irrational handeln und einen Krieg gegen die NATO entfesseln. 

Wie könnte in dieser Gemengelage nun ein Friedensvertrag aussehen? Michael Rühle stellte dazu acht Thesen auf:

  • Die neuen Grenzen werden entlang des aktuellen Frontverlaufs gezogen, mögliche Gebietstausche werden vertagt
  • Westliche Friedenstruppen zur Absicherung des Friedens sind unabdingbar
  • Die USA werden keine Soldaten für die Friedenstruppen bereitstellen, aber durch Aufklärungsarbeit unterstützen
  • Die geschrumpfte Ukraine erhält Sicherheitsgarantien von den drei westlichen Atommächten und möglichweise weiteren Staaten
  • Ein NATO-Beitritt der Ukraine wird auf die lange Bank geschoben, die EU-Annäherung geht aber weiter
  • Die Ukraine erhält weiter westliche Waffenhilfen
  • Falls der Friedensprozess relativ reibungslos verläuft, werden schrittweise die Sanktionen gegen Russland wieder aufgehoben
  • Die Ukrainefrage und die zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur werden unabhängig voneinander behandelt

Sollte es so kommen, wie von Rühle prognostiziert, würde der Frieden klar zu Lasten der Ukraine gehen. Aber immerhin, merkte er an, könne sich die dann kleinere Ukraine weiter dem Westen zuwenden. Und sollte sich die USA als Sicherheitsgarant bereiterklären, wovon er ausgehe, würde ein weiterer russischer Überfall unwahrscheinlich.

Kommt es mit einem Friedensvertrag wenigstens zu einer schnellen Normalisierung der Beziehungen mit Russland? Nein, „die Beziehungen werden schwierig bleiben.“ Russland werde die Russifizierung der annektierten Gebiete vorantreiben und so eine Wiederherstellung der Vorkriegsukraine immer unwahrscheinlicher machen. Und selbst mit Sicherheitsgarantien wird sich die Ukraine weiter bedroht fühlen von Russland. Auch für eine Besserung der russischen Beziehungen zum Westen fehle eine gemeinsame Vertrauensbasis, solange Putin den Westen weiter destabilisieren wolle. Für eine ernsthafte Wiederannäherung müsse Russland „aufgerissene Wunden schließen – die feindlichen Maßnahmen gegenüber dem Westen beenden, russische Kriegsverbrechen eingestehen, die entführten ukrainischen Kinder wieder freilassen und vieles mehr.” Unter Putins Führung eine sehr unwahrscheinliche Perspektive, meint Rühle. Es dürfte also bei einer hochbewaffneten Koexistenz bleiben.

Immerhin, bei den wenig optimistischen Aussichten, einen Vorbildcharakter für andere Staatschefs mit Kriegsgelüsten, sollte Russland mit dem Landraub am Ende erfolgreich sein, sieht Rühle nicht: Russland habe in drei Jahren knapp 300.000 Soldaten verloren und eine „miserable Show“ gezeigt. „China wird Taiwan angreifen, wenn es glaubt, dass die USA nicht mehr zu 100 Prozent an der Seite Taiwans stehen, nicht weil Russland als Vorbild taugt.“

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