Exzellenz, Vernetzung und Mut zur Veränderung
Gesundheitshauptstadt Berlin: Expertenrunde diskutiert Wege, Hürden und Chancen
Text: Sebastian Thomas | Leiter Kommunikation und Marketing
Wie kann Berlin seine herausragende medizinische und wissenschaftliche Kompetenz nutzen, um zur europäischen Gesundheitshauptstadt aufzusteigen? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines mit namhaften Gesundheitsexperten besetzten VBKI-Diskussionspanels. Moderiert wurde der Abend von Dr. Harald Hasselmann und Simon Batt-Nauerz, die beide dem VBKI-Gesundheitsausschuss vorsitzen. Zum Auftakt skizzierte Harald Maas (KPMG) vor rund 80 Mitgliedern und Freunden des VBKI zentrale Herausforderungen, denen sich der deutsche Gesundheitssektor im Allgemeinen und der Standort Berlin im Speziellen gegenübersehen: Berlin müsse mutiger in Ausgründungen und pragmatischer im Umgang mit Regulierung werden. Die Pandemie habe die Bedeutung eines dichten Versorgungsnetzes gezeigt – zugleich seien Investitionen in Cybersicherheit, Infrastruktur und Resilienz dringend erforderlich. Auch angesichts geopolitischer Krisen gelte es, die Stadt als Forschungs- und Innovationsstandort neu zu denken. „Wir müssen den Blick weiten und Berlin als Forschungsstadt attraktiv machen“, so Maas.
Auf dem Podium diskutierten anschließend Astrid Lurati (Vorstand Finanzen und Infrastruktur, Charité – Universitätsmedizin Berlin), Dr. Christina Quensel (Geschäftsführerin, Campus Berlin-Buch GmbH) und Alexander Föhr (Leiter Berliner Büro, Universitätsklinikum Heidelberg) über Spitzenmedizin, Innovationsnetzwerke und die Rahmenbedingungen einer modernen Gesundheitsmetropole.
„Wir wollen in der Ivy League der europäischen Spitzenversorgung mitspielen“, betonte Astrid Lurati. Die Charité zählt laut Newsweek-Ranking zu den besten Kliniken weltweit – Platz 7 global, Platz 2 in Europa, Platz 1 in Deutschland. Um diese Position zu halten, brauche es verlässliche Strukturen, langfristige Planungssicherheit und eine auskömmliche Finanzierung. Volatile Gesetzgebung und knappe Mittel erschwerten die Entwicklung. Ebenso wichtig seien Investitionen in Infrastruktur und Wohnraum, um internationale Talente für Berlin zu gewinnen: „Attraktivität allein reicht nicht – sie muss strukturell unterstützt werden.“
Wie dynamisch der Innovationsstandort Berlin bereits ist, zeigte Dr. Christina Quensel am Beispiel des Campus Berlin-Buch. Dort entsteht ein eng vernetztes Ökosystem aus Forschung, Start-ups und Industrie. Besonders hervorzuheben: das neue Zell- und Genzentrum am Nordhafen, eine Kooperation von Charité und Bayer. In Rekordzeit geplant und genehmigt, soll es 2028 in Betrieb gehen. Mit Laborflächen, GMP-Facility und Inkubator-Strukturen entsteht ein Leuchtturmprojekt translationaler Medizin – ein Nukleus für das „Boston an der Spree“.
Quensel betonte zugleich den Bedarf an mehr Risikokapital und unternehmerischem Mut, um Forschungsergebnisse schneller in marktfähige Innovationen zu überführen. Der Zugang zu Kapital sei in Europa deutlich schwieriger als in den USA. 80 Prozent der Finanzierungen im Gesundheitssektor stammten aus den Vereinigten Staaten – auch Biontech sei über die Nasdaq finanziert worden. Solange Europa keinen vergleichbar effizienten Kapitalmarkt schaffe, werde es schwer, Unternehmen langfristig zu halten. „Was uns fehlt, ist ein echter europäischer Kapitalmarkt“, so Quensel. Gleichzeitig brauche es Programme, die serielles Gründen fördern – etwa durch Matchmaking-Formate mit erfahrenen Gründerinnen und Gründern.
Berlin verfügt über exzellente Voraussetzungen – von international anerkannter Spitzenmedizin über starke Forschungseinrichtungen bis hin zu einer wachsenden Start-up-Szene.
Auch beim Thema internationale Fachkräfte zeigt sich laut Astrid Lurati Bewegung: Der sogenannte „Trump-Effekt“ habe dazu geführt, dass sich mehr US-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler für Berlin interessierten. Doch die Vergütungsstrukturen in Deutschland seien international wenig konkurrenzfähig, die Infrastruktur vielerorts in einem beklagenswerten Zustand. „Wir müssen investieren – es ist eine traurige Entwicklung, dass es wichtiger scheint, Bäume zu pflanzen als in Wissenschaft und Infrastruktur zu investieren“, so Lurati. Zudem bleibe im klinischen Bereich die Sprachbarriere ein Hindernis. In den USA sei es für Forschende einfacher, Ausgründungen zu starten und damit auch finanziell erfolgreich zu sein – ein entscheidender Standortvorteil, den Europa erst noch aufholen müsse.
Aus bundespolitischer Perspektive mahnte Alexander Föhr an, dass Deutschlands starke Forschungslandschaft durch Bürokratie und Überregulierung gebremst werde. Klinische Studien wanderten zunehmend ins Ausland ab. „Wir müssen aufhören, Goldrandlösungen zu schaffen, und anfangen, pragmatisch zu handeln“, so Föhr. Kooperationen wie der neue Klinikverbund Heidelberg–Mannheim könnten als Modell dienen, um Synergien zu heben und Daten effizienter zu nutzen. Auch die Digitalisierung müsse entschlossener vorangetrieben werden – von der elektronischen Patientenakte bis zur sicheren Nutzung von Gesundheitsdaten.
Neben Investitionen in Infrastruktur und Technologie braucht es laut den Diskutierenden auch ein kulturelles Umdenken. „In New York sagen alle: ‚Wir schaffen das‘ – dieses Mindset brauchen wir auch in Berlin“, forderte Lurati. Der Gesundheitssektor verfüge über enorme Ressourcen, entscheidend sei deren gezielte Allokation und der Mut, neue Wege zu gehen.
Das Fazit des Abends: Berlin verfügt über exzellente Voraussetzungen – von international anerkannter Spitzenmedizin über starke Forschungseinrichtungen bis hin zu einer wachsenden Start-up-Szene. Um zur europäischen Gesundheitshauptstadt zu werden, braucht es jedoch Mut, Investitionen und entschlossene politische Entscheidungen. Oder, wie Astrid Lurati es zusammenfasste: „Wir haben alle Voraussetzungen – jetzt müssen wir sie auch nutzen.“
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