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16.04.24

„Ohne Verwaltungsreform gehen wir in die Knie“  

„Ohne Verwaltungsreform

gehen wir in die Knie“  

Ein Jahr Schwarz-Rot in Berlin – drei Berliner Chefredakteure ziehen Bilanz

Text: Sebastian Thomas | Leitung Kommunikation und Marketing

 

Die Latte war hoch gelegt worden. Nicht weniger als einen „Aufbruch für die Stadt“ hatte die schwarz-rote Landesregierung versprochen und sich selbst als „Koalition der Erneuerung“ präsentiert. Nun, ein Jahr nach Amtsantritt, haben wir – einer gewissen Tradition folgend – im VBKI gemeinsam mit drei profilierten Berliner Hauptstadtjournalisten eine erste Bilanz gezogen. Wo sind Fortschritte erzielt worden, wo bleibt das schwarz-rote Bündnis hinter den Erwartungen zurück?

Der Moderator des Abends, unser langjähriges Präsidiumsmitglied Dr. Kay Lindemann, bat zunächst um eine allgemeine Einschätzung der bisherigen Leistungen des Senats. Dr. Helene Bubrowski, ehemalige FAZ-Journalistin und inzwischen Teil der Chefredaktion des Berliner Verlags Table Media, hält dem Zweierbündnis um den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey zugute, für Ruhe gesorgt zu haben. Aus der Warte der Bundesparteien hätten die Berliner Landesverbände – etwa im Kielwasser von Berliner Spezialitäten wie der Enteignungsdebatte – über Jahre hinweg den Ruf als „Schmuddelkinder“ genossen. Inzwischen habe sich das Verhältnis normalisiert, im Bundesrat werde die Berliner Vertretung nicht mehr als „Ausreißer“ wahrgenommen.

 

Lorenz Maroldt billigt den handelnden Akteuren passable Haltungsnoten zu, sieht in der Substanz aber wenig Fortschritt. Die regierende Koalition, so der langjährige Chefredakteur des Tagesspiegel, habe vor allem das Fassadenbauen perfektioniert: „Dahinter tut sich wenig“. Auch Peter Schink, seit Anfang des Jahres an der Spitze der Morgenpost-Redaktion, sieht eine gewisse Diskrepanz zwischen den großen Versprechen bei Amtsübernahme und den bislang umgesetzten Vorhaben – allerdings mahlten die Mühlen in Berlin traditionell langsam, und ein Jahr sei in der Politik nicht viel Zeit. Unter dem Strich sei der versöhnende, die Stadtgesellschaft zusammenführende Anspruch der Koalition in der Person Kai Wegner recht gut verkörpert.

Beim Stichwort Personal machte die Runde vor allem die plötzliche Wandlung des Regierenden Bürgermeisters zum Thema. „Der Wandel, den Kai Wegner hingelegt hat, ist rasant“, sagte etwa der Tagesspiegel-Chef. Eben noch mit einem eindeutig konservativen „Law-and-Order“-Profil ausgestattet, zeige sich Kai Wegner heute demonstrativ offen für Anliegen, die bislang vom progressiven Spektrum besetzt waren. Ob ihm diese Image-Auffächerung langfristig zum Vorteil gereiche? Lorenz Maroldt ist skeptisch und sieht eher die Gefahr, konservative Wählerschichten abzuschrecken als liberalere für sich einzunehmen.

Ach ja, die Beziehung zwischen dem Regierenden und der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch durfte beim Blick zurück natürlich auch nicht fehlen. Insbesondere in den Monaten rund um den Jahreswechsel Stadtgespräch und medial eng begleitet, wurde die Romanze auch beim VBKI noch einmal thematisiert. Alle drei Panelisten machten deutlich, warum das Thema journalistisch relevant sei. Es gehe weniger darum, das Publikumsinteresse an Klatschnachrichten zu bedienen, als der journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen. In den Worten von Lorenz Maroldt: „Uns interessiert, ob Kai Wegner die Wahrheit sagt.“

Im weiteren Verlauf bat der Moderator das Panel um Einschätzungen zu drei Themen, die in Berlin besondere Konjunktur haben: Wohnen, Mobilität und die Verwaltungsreform. „Wohnungsbau ist ein totales Verliererthema“, sagte etwa Peter Schink. Laut dem Chef der Morgenpost täte der Senat gut daran, sich von den lange gepflegten und gehegten Erwartungen zu verabschieden, um auf Basis einer realistischen Bestandsaufnahme alles dafür zu tun, mehr Tempo in den Neubau zu bekommen. Die Stadt wachse weiter – und damit auch der Druck auf die Wohnkosten. 18 Euro pro Quadratmeter seien in den Innenbezirken heute schon die Regel – Tendenz weiter steigend. Das zuletzt von Bausenator Christian Gaebler vorgestellte „Schneller-Bauen-Gesetz“ ist laut Lorenz Maroldt eine überfällige Maßnahme, zumal die Gruppe der Bau-Blockierer stark seien. Besonders ärgerte sich der Tagesspiegel-Mann über die Fehler der Vergangenheit: „Der Sarrazynismus der Nullerjahre ist aus heutiger Sicht nur mit totalem Blindflug zu erklären.“ Insgesamt sieht Maroldt das Problem auf dem Wohnungsmarkt weniger in den hohen Mieten als in der hinterherhinkenden Lohnentwicklung. Die erneute Diskussion um eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes hält er für eine Scheindebatte. Die entscheidenden Herausforderungen beim Wohnungsbau in Berlin hingen weniger mit dem Ort als mit der Finanzierung zusammen. 

Beim Blick auf das Themenfeld „Mobilität“ forderte Peter Schink ein länderübergreifendes Verkehrskonzept, für Lorenz Maroldt hängt die Zukunft der Mobilität – angesichts geteilter Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken – eng am Zustandekommen der Verwaltungsreform. Klar sei, dass es eine ordnende Hand brauche. Helene Bubrowski erinnerte an das Tempo, mit der eine andere europäische Metropole – Paris – ihr Verkehrskonzept verändert habe. „Wir verzetteln uns zu oft.“

Und wie steht es um die Perspektiven der Verwaltungsmodernisierung? Peter Schink zeigt sich pessimistisch. „Ich ahne, dass es wenig Menschen gibt, die wirklich Interesse an einer substanziellen Reform haben.“ In der Essenz spiegele die Reform einen Kampf um Einfluss zwischen Senatsebene und Bezirken. Dennoch: Aus Maroldts Sicht führt kein Weg an einer Reform vorbei, denn „sonst gehen wir in die Knie“. Leider ließe sich niemand für die Defizite in der Verwaltung verantwortlich machen, dies sei ein wesentlicher Grund dafür, dass „wir seit mehr als 20 Jahren über eine Reform diskutieren, ohne dass etwas passiert“.

Und was macht Sie optimistisch? Für Helene Bubrowski liegt ein Teil der Antwort auf diese Frage aus dem Publikum darin, den Blick zu weiten: „Wenn man mit Menschen aus anderen Weltgegenden spricht, funktioniert Berlin doch – allen Unkenrufen zum Trotz – immer noch gut.“ Peter Schink gibt die Art und Weise Zuversicht, mit der im Anschluss an die Terrortaten der Hamas in Israel die Antisemitismus-Debatte in Berlin geführt wurde. „Es gibt in unserer Stadt viele engagierte Menschen, die mit großer Ernsthaftigkeit agieren“, so der Morgenpost-Chef. Als Gesellschaft insgesamt seien wir handlungsfähig. Auch Lorenz Maroldt brach eine Lanze für Menschen, die in Berlin politische Verantwortung übernehmen: „Ich lerne in der Politik immer wieder Menschen kennen, die es wirklich ernst meinen.“

 

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