Auf schmalem Grat
Politische Äußerungen von Unternehmenschefs zwischen gesellschaftlicher Relevanz, wirtschaftlicher Notwendigkeit und gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Ein Gastbeitrag von Sabine Clausecker und Christoph von Arnim
Europa hat gewählt – und das Ergebnis sollte ein Weckruf für uns alle sein. Die antieuropäischen, rechtspopulistischen Parteien zwischen Nordsee und Mittelmehr konnten deutliche Zugewinne verzeichnen, die AfD erzielt in Deutschland fast 16 Prozent. In Ostdeutschland sind die Rechtspopulisten mit mehr als 27 Prozent der Stimmen mit Abstand stärkste Kraft. So auch in Brandenburg, wo im September der Landtag neu gewählt wird.
Inwieweit ist der soziale Frieden in der Hauptstadtregion in Gefahr, sollten die Remigrationsanhänger auch im Herbst einen Wahlerfolg in dieser Größenordnung erzielen? Wie sehr leiden internationaler Ruf und Anziehungskraft unseres Standorts? Nicht nur die Chefs der Großkonzerne Mercedes-Benz und Siemens warnen eindringlich vor Hass und Hetze in Deutschland. Auch in den Chefetagen der Berliner und Brandenburger Wirtschaft wächst die Sorge vor einer zunehmenden Verbreitung demokratiefeindlichen und rassistischen Gedankenguts. Und mit ihnen der Druck, selbst in Aktion zu treten.
Tatsächlich äußern sich immer mehr Unternehmenschefs in deutlichen Worten. Im Februar dieses Jahres etwa haben 40 der im VBKI-Forum CEOs for Berlin engagierten Top-Führungskräfte der Metropolregion Berlin-Brandenburg in einer gemeinsamen Erklärung gegen Rechtsextremismus Stellung bezogen. Mit dieser Form der öffentlichen Positionierung bedienen sie auch eine Erwartungshaltung, die ihnen als gesellschaftlichen „Leadern“ im Zeitalter der Hypertransparenz entgegenschlägt. CEOs gelten heute als universelles Sprachrohr ihrer Organisationen. 2022 waren bereits 70 Prozent der DAX-40-CEOs mit einem eigenen Social-Media-Profil im Netz vertreten. Aktuelle Untersuchungen zeigen zudem, dass Mitarbeitende einem „Connected Leader“ mehr Vertrauen schenken als einem Unternehmenschef, der sich in Schweigen hüllt. Von den Chefetagen werden Haltung und Orientierung eingefordert.
„Aktuelle Untersuchungen zeigen zudem, dass Mitarbeitende einem „Connected Leader“ mehr Vertrauen schenken als einem Unternehmenschef, der sich in Schweigen hüllt. Von den Chefetagen werden Haltung und Orientierung eingefordert.“
Über 40 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zählt Deutschland. Sie alle verbringen am Arbeitsplatz einen Großteil ihrer Zeit. In den Kantinen und Kaffeeküchen dieser Republik treffen Meinungen aufeinander, die nicht durch digitale Filter vorsortiert worden sind. Hier, im betrieblichen Umfeld, können demokratische Werte vorgelebt, eine zivilisierte Diskussionskultur gefördert und der kompetente Umfang mit Informationen vermittelt werden. Darin liegt eine bedeutende Chance für dieses Land. Es liegt in der Verantwortung der Arbeitgeber, diese Chance zu ergreifen.
Allerdings wandeln gesellschaftspolitisch engagierte Unternehmenschefs auf einem schmalen Grat: Betreiben sie zu starkes Campaigning gegen politische Strömungen, die in den Köpfen und Herzen ihrer Mitarbeitenden längst verankert sind, droht Akzeptanzverlust. Halten sie sich zurück, werden sie ihrer Führungsrolle nicht gerecht und verpassen die Gelegenheit, sich und das Unternehmen zu positionieren.
Und nicht jeder kann in seinen Wortmeldungen so frei agieren wie zuletzt Nomos und Würth: Der Uhrenhersteller aus Sachsen und der Schraubenproduzent aus Baden-Württemberg haben ihren Mitarbeitenden klar davon abgeraten, der AfD ihre Stimme zu geben. Beide Unternehmen sind Familienunternehmen und unterliegen rechtlich niedrigeren Schranken als börsennotierte Gesellschaften. Deren Vorstände verwalten fremdes Vermögen und sind allen Stakeholdern, den Mitarbeitenden ebenso wie den Anteilseignern, verantwortlich. Sie müssen darüber hinaus die strengen rechtlichen Vorgaben für die Veröffentlichung kapitalmarktrelevanter Informationen berücksichtigen.
Allerdings dürfen sich Vorstände im Rahmen der ihnen übertragenen Leitungsbefugnis auch politisch äußern. Eine Pflicht zur Neutralität besteht nicht. Das Wohl des Unternehmens ist dabei aber ebenso im Blick zu behalten wie die allgemeinen Grenzen freier Meinungsäußerung. Dies schon deshalb, weil sich private und dienstliche Meinungsäußerung nicht immer trennscharf auseinanderhalten lassen.
Anders liegt es bei Geschäftsführern von GmbHs und Personengesellschaften, die ihren Gesellschaftern unmittelbar verantwortlich sind und sich ohne deren Einbindung nicht politisch äußern sollten.
Welche Maximen sollten Unternehmenslenker heute beachten, wenn sie glaubwürdig Haltung zeigen wollen?
1. Die externe Positionierung sollte einen Unternehmensbezug aufweisen und im Unternehmenskontext begründet werden. So weist der Kommunizierende nach, dass er aus Verantwortung für und im Interesse des Unternehmens handelt – und nicht nur seine persönliche Meinung kundtut.
2. Die öffentlichen Äußerungen der Chefs sollten stets im Einklang mit der nach innen gelebten Unternehmenskultur stehen. Widerspruchsfreies Auftreten in alle Richtungen ist Grundvoraussetzung für breite Akzeptanz.
3. Der Kommunikationsreihenfolge ist zu beachten. Die Regel lautet: intern vor extern. Mitarbeitende müssen ins Bild gesetzt werden, bevor nach außen kommuniziert wird. Öffentliche Äußerungen, die intern nicht nachvollzogen werden können, beschädigen die Glaubwürdigkeit.
4. Jedes Unternehmen sollte seine Werte in einem Code of Conduct schlüssig und nachvollziehbar niedergelegen und diese im Alltag leben. Bestenfalls werden diese Werte unter Beteiligung der Mitarbeitenden entwickelt.
5. Der Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden muss mit Sorgfalt geführt werden und sollte keinen Raum für Missverständnisse lassen. Klarheit schafft Vertrauen. Gerüchten muss schnell etwas entgegengesetzt werden.
6. Regelverstöße – insbesondere, wenn sie grundlegende Werte der Unternehmenskultur verletzen – müssen sanktioniert werden. Dabei geht es nicht darum, einzelne Arbeitnehmer an den Pranger zu stellen. Ziel ist vielmehr, die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit im Unternehmen zu stärken.
7. Auch die Kommunikationswege spielen eine Rolle. Für politische Stellungnahmen können persönliche Social-Media-Präsenzen wegen besserer Kontrollierbarkeit geeigneter sein als die mittelbare Kommunikation über Massenmedien. Nichts ist ärgerlicher, als falsch zitiert zu werden. Darüber hinaus bieten sich Interviews oder Meinungsartikel in seriösen und zu Anlass und Branche passenden Medien an.
8. Unternehmenschefs erhöhen die Glaubwürdigkeit ihres politischen Engagements, indem sie Worten auch konkrete Maßnahmen folgen lassen. Denkbar sind Schulungen und Workshops, in denen zu aktuellen Themen wie Fakenews, Bot-Manipulation oder auch Agitation durch Influencer aufgeklärt wird. Diese Schulungen sollten von seriösen externen Partnern durchgeführt werden.
In Zeiten multipler Krisen und großer gesellschaftlicher Umbrüche sind Unternehmen und deren Führungskräfte als gesellschaftlich wahrnehmbare Akteure gefordert. Erwartet wird – sowohl im Kontext der Stakeholder als auch im Kreis der Mitarbeitenden – das kompetente Management von übergeordneten Themenkomplexen, die unmittelbaren Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben: Politische Stabilität, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Weltoffenheit und die Bewahrung unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung.
Über die Autoren:
Sabine Clausecker ist Co-Vorsitzende des VBKI-Ausschusses Wirtschaftspolitik und Vorstand CBE DIGIDEN AG – Agentur für Kommunikation
Christoph von Arnim ist Co-Vorsitzender des VBKI-Ausschusses Wirtschaft & Ethik und Rechtsanwalt und Partner FPS Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mbB
Dieser Beitrag erschien am 12. Juni 2024 (online) und am 13. Juni 2024 (print) im Tagesspiegel.
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