Kult oder Chaos?
Hauptstadtkulturgespräch: Berlins Mitte zwischen Rast- und Ratlosigkeit
Text: Sebastian Thomas | Leiter Kommunikation & Marketing
Der Genius Loci hatte seine Finger im Spiel: Wo lässt sich besser über Versäumnisse und Perspektiven des Kultur-Standorts „Berlin-Mitte“ diskutieren als im reich geschmückten Gobelin-Saal des Bode-Museums mitten auf der Museumsinsel? Im „Bull’s eye“ des Kultur-Hotspots Berlin hatte sich am Montagabend eine illustre Runde versammelt, um auf Einladung des VBKI-Kulturausschusses die vielen Sorgen in den Blick zu nehmen, die das kulturelle Herz der Stadt in Zeiten klammer Kassen umwehen: Das Pergamonmuseum ist auf Jahr(zehnt)e geschlossen, auch die Komische Oper muss saniert werden. Die Fertigstellung des Einheitsdenkmals verzögert sich seit Jahren und der Wiederaufbau der Schinkel’schen Bauakademie droht in der Diskussion zwischen historischer Rekonstruktion und moderner Interpretation zerredet zu werden. Auch die Region um den Gendarmenmarkt scheint entmietet und entvölkert. Wie also weiter?
Zum Auftakt des Hauptstadtkulturgesprächs teilten sich Gero Dimter und Prof. Dr. Stephan Frucht die Rollen: Während der Vizepräsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als „Good Cop“ die Fortschritte der vergangenen Jahre betonte – etwa den U-Bahn-Anschluss und seine belebende Wirkung für den Bezirk und seine Kulturinstitutionen verwies -, legte der Vorsitzende des VBKI-Kulturausschusses als selbsternannter „Bad Cop“ seinen Finger in die vielen Wunden der Berliner Kulturpolitik. Besonders schmerzhaft: Die Lethargie und Trägheit als Ergebnis einer an Dysfunktionalität grenzenden Bürokratie. Quintessenz seines flammenden Plädoyers: „Wir dürfen nicht zulassen, dass endlose Prozesse unseren gemeinsamen Fortschritt ausbremsen.“ Der Kulturmanager forderte dazu auf, Verantwortung nicht weg zu delegieren, sondern selbst aktiv zu werden. Berlin müsse ein Sehnsuchtsort für Künstler, Kreative und Innovatoren aus der ganzen Welt bleiben.



Apropos Anziehungskraft: Drei von fünf Besuchern kommen wegen des kulturellen Angebots in an die Spree. Allerdings scheint inzwischen ein Plateau erreicht, die Wachstumsdynamik in Sachen Tourismus habe sich zuletzt abgeschwächt, rechnet Burkhard Kieker zu Beginn der von Jörg Thadeusz moderierten Paneldiskussion vor. Der Geschäftsführer der Berlin Tourismus & Kongress GmbH macht dafür unter anderem die schlechte Anbindung verantwortlich. Beispiel Flughafen: Im Vergleich zu 2019 kommen 30 Prozent weniger Besucher über diesen Weg nach Berlin, von der Langstrecke und zunehmend auch vom Low-Cost-Bereich sei die Hauptstadt abgekoppelt. „Die Stadt leidet unter einem Arterienverschluss.“
Trägheit? Lethargie? Dysfunktionale Stadt? Ursachenforschung betreibend, richtete sich der Blick des Panels immer wieder auf die Berliner Verwaltung beziehungsweise auf die zähen und langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozesse, von denen auch der hiesige Kulturbetrieb mehr als ein Lied singen kann. Niemand könne ihm beispielsweise sagen, so Moderator Thadeusz, wann das Berliner Zeughaus nach abgeschlossener Sanierung wieder öffnen werde. Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler, angesprochen auf die Irrungen und Wirrungen rund um den Abriss und Neubau des Jahn-Sportparks, nahm den Ball auf und bestätigte: Das Berliner Bauwesen sei derart überbürokratisiert, dass Verzögerungen und Kostensteigerungen eine logische Folge seien. Das aus dem eigenen Haus stammende „Schneller-Bauen-Gesetz“ und eine große Verfassungsreform, so der Senatsvertreter, sollen Abhilfe schaffen und Tempo in die Entscheidungswege bringen: „Streit ist in Ordnung, aber man darf dabei das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren“, sagte Gaebler.
Der Elefant im Gobelin-Saal waren erwartungsgemäß die Sparbemühungen des Landes Berlin, die auch Spuren im Kulturbereich hinterlassen dürften. Allein im kommenden Jahr 2025 müssen 3 Milliarden Euro eingespart werden, die unterschiedlichen Senatsverwaltungen prüfen derzeit, wie sie die straffen Vorgaben in ihren Ressorts erfüllen können. Die Kulturvertreter auf der Bühne, mit Susanne Moser etwa die Ko-Intendantin und Geschäftsführende Direktorin der Komischen Oper Berlin oder mit dem Architekten Anh-Linh Ngo der Editor-in-Chief von ARCH+ und Vizepräsident der Akademie der Künste Berlin, wiesen auf den Hebeleffekt von Mitteln hin, die der Kultur zugutekommen: „Jeder Euro, der in die Kultur fließt, bringt dem Land ein Vielfaches an Einnahmen.“ Kultursenator Joe Chialo warnte vor einer „Opferkonkurrenz“ und betonte, den Mittelkürzungsauftrag mit großer Gewissenhaftigkeit zu prüfen. Ziel sei es, die Kultur ohne irreparable Schäden durch diese schwierige Zeit zu bringen. Dabei sei man auf einem „harten, aber guten Weg“.
Dank gilt den Förderern der Reihe „Hauptstadtkulturgespräch“ – namentlich der der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste e.V. und rbb radio 3.
Und ein Tipp: Wer live nicht dabei sein konnte, kann das Hauptstadtkulturgespräch bei rbb radio3 nachhören.
Impressionen
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